50 Jahre Köln Concert

Freitagabend, der 24. Januar 1975. Im Kölner Opernhaus lief Alban Bergs „Lulu“, Vorstellungsende 22 Uhr, wie der Abendzettel vermerkte. Am selben Abend fand ein außergewöhnliches Konzert statt: Der amerikanische Jazz-Pianist Keith Jarrett gab einen Soloabend, organisiert von der jungen Konzertveranstalterin Vera Brandes. Was an diesem Abend geschah, ist heute Legende. „Ich wollte von Anfang an ein Mitternachtskonzert“, sagt Vera Brandes. Und ein Künstler wie Keith Jarrett sollte doch am repräsentativsten Veranstaltungsort der Stadt auftreten: im Opernhaus mit seinen rund 1.300 Plätzen. Um ein Haar wäre es dazu gar nicht gekommen. Der versprochene große Bösendorfer Imperial-Flügel – ein Modell mit vollem Klangspektrum, ideal für Jarretts virtuosen Stil – blieb im verschlossenen Gang zwischen Oper und Schauspielhaus stehen, gut verpackt und für die Klavierträger nicht auffindbar. Stattdessen wurde ein kleineres, älteres Bösendorfer-Modell aus einem Probenraum auf die Bühne gebracht. Es war nicht nur stark abgenutzt, sondern hatte auch klangliche Mängel: Der obere Diskant klang schrill, die tiefen Register dumpf. Ein Ad-hoc-Flügeltransport quer über den Neumarkt wurde verworfen, nachdem der Klavierstimmer Vera Brandes gefragt hatte, ob sie noch ein Sparbuch mit 40.000 DM übrig habe. So viel koste es nämlich, wenn der Konzertflügel beschädigt würde. Während die Klavierstimmer das vorhandene Instrument so gut es ging stimmten und präparierten – sie platzierten Filz unter den Hämmern, um den Klang auszugleichen – holte Vera Brandes Keith Jarrett wieder aus dem Auto, in das er sich zurückgezogen hatte. Er war müde, hungrig und gesundheitlich angeschlagen nach einer anstrengenden Tournee. Hier fielen die legendären Worte: „Okay, I’ll play. But never forget – just for you!“. Gegen 23.30 Uhr begann das Konzert, das als „The Köln Concert“ in die Geschichte eingehen sollte.
Keith Jarrett begann mit einem einfachen Motiv in G-Dur, das er variierte und ausbaute, bis es zu einer reichhaltigen Klanglandschaft wurde. Die Einschränkungen des Instruments zwangen ihn zu einem außergewöhnlichen Spiel: Er musste kreative Wege finden, um den schwachen Bass auszugleichen, und arbeitete daher verstärkt mit rhythmischen Patterns und Repetitionen. Die Improvisation dauerte rund 66 Minuten und wurde in vier Teile unterteilt. Die Atmosphäre im Opernhaus war elektrisierend; das Publikum war von der ersten Minute an gebannt. Das Konzert wurde von Toningenieur Martin Wieland im Auftrag von ECM Records aufgenommen. Was eigentlich nur als einmalige Live-Performance geplant war, wurde später zur meistverkauften Solo-Jazzaufnahme der Musikgeschichte und zu einem der erfolgreichsten Alben aller Zeiten im Jazz. Bis heute wurden weltweit über 4 Millionen Exemplare verkauft. Das Album brachte nicht nur Keith Jarrett weltweite Anerkennung, sondern veränderte auch die Wahrnehmung von Solo-Jazz-Klavierkonzerten. Es zeigte, wie ein Musiker durch Improvisation tiefgehende emotionale und musikalische Strukturen schaffen konnte, ohne auf bestehendes Material zurückzugreifen. Die Musik strahlt eine einzigartige Mischung aus Melancholie, Ekstase und Intimität aus, die Zuhörer bis heute fasziniert. 
Vera Brandes, die zu diesem Zeitpunkt gerade 17 Jahre alt war, war bereits eine der jüngsten Konzertveranstalterinnen Deutschlands. Sie hatte ein besonderes Gespür für innovative Künstler und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Jarrett in Köln spielte. Nach dem Erfolg des „Köln Concerts“ machte sie eine Karriere in der Musikindustrie und engagierte sich später auch für die therapeutische Wirkung von Musik. Die Klavierstimmer, die das Instrument retteten, blieben anonym. Ebenso ranken sich Legenden um einen mysteriösen Gong, der während des Konzerts zu hören gewesen sein soll. Ob dieser Gong tatsächlich existierte oder ob es sich um einen akustischen Effekt handelte, bleibt ungeklärt. Diese kleinen Geheimnisse tragen zur Faszination des Abends bei. „The Köln Concert“ beeinflusste nicht nur Generationen von Jazzmusikern, sondern auch Künstler aus anderen Bereichen. Der minimalistische Stil des Albums wurde zu einer Inspiration für Filmemacher, Schriftsteller und Maler.

WDR 3 KULTURFEATURE

Wer noch mehr über die Legende „The Köln Concert“ erfahren möchte, dem sei das Radio-Feature in der Mediathek unseres Kulturpartners WDR3 empfohlen: