A machine of death

„Elektra“, dieses Werk, das noch vor Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ das angehende 20. Jahrhundert in bisher unerhörter Weise erbeben ließ. Das Werk, das vor über 100 Jahren in seiner entfesselten kakophonen Gewalt auf den Hörer einstürzte – es hat von seiner Kraft bis heute nichts verloren!
Richard Strauss war 1909 – so scheint es – ein Medium für okkulte Mächte, die seine Zeit noch heimsuchen sollten. Er schrieb ein Werk über einen bis dahin nicht gekannten Vernichtungsfuror, der eine globale Apokalypse, ein globales Inferno heraufbeschwörte. Richard Strauss hat nicht nur einen Blick in den schwindelnden Abgrund der Atonalität getan, sondern wie prophetisch das große Beben vorausgeahnt. „Ich habe keine guten Nächte“, die Worte von Klytämnestra, die den suggestivsten Alptraum der ganzen Musikgeschichte einleiten, stehen sie nicht menetekelhaft über der Schwelle zur großen Menschheitskatastrophe? „Elektra“ ist als Parabel zeitlos gültig, ob 1909, ob 2024 – der Fluch der Atriden: es ist der ewige Fluch von Rache, die nichts als Opfer hinterlässt, der Rache, die ihre „Vollbringenden“ nicht befreit, sondern seelisch tötet. Nach Hugo von Hofmannsthals Worten wird  „in Elektra das Individuum aufgelöst, indem der Inhalt seines Lebens es von innen her zersprengt…“  Die Obsessionen zerreißen in ihrer Maßlosigkeit das Individuum von innen. Strauss hat folgerichtig eine Musik komponiert, die jedes menschliche Verhältnis übersteigt. Wenn sich das Individuum verliert, sind es dann nicht Halluzinationsräume, die so entstehen? Und labyrinthische Seelengefängnisse werden selbst zum Thema? Die Zeit saß wie ein Inkubus über Strauss und hat ihn diesen Dämon der Obsession, diese brutale Vernichtungsmaschine, die jede Individualität hinter sich läßt, schaffen lassen. „Elektra“ – letztlich eine aberwitzige Maschine aus Fanatismus, Hass und Paranoia. Eine Maschine, die immer neuen Treibstoff erhalten muss, eine Maschine, die immer neue Schmerzen erschaffen muss – eine Maschine wie ein erbarmungsloses Perpetuum des Tantalus. Ein Perpetuum, das eine trügerische Verheißung in ewiger Rotation hält: „Ich habe Finsternis gesät und ernte Lust über Lust.“

Roland Schwab